IBUg – Industriebrachenumgestaltung

Urbane Kultur im ländlichen Raum

Wenn verlassene Fabriken neue Farben auf die alten Mauern bekommen, Ingenieurbüros zu Ateliers werden und Dampfkessel zu Installationen, dann ist IBUg-Zeit in Westsachsen.

IBUg steht dabei für Industriebrachenumgestaltung und ist ein Projekt einer losen Initiative um den Graffitikünstler Tasso. Begonnen hat die IBUg vor sechs Jahren als inoffizielle Veranstaltung. „In Meerane gibt es – wie in vielen ostdeutschen Städten, in denen ehemals eine produzierende Industrie existiert hat – sehr viele brachliegende Industriebetriebe und Fabriken, an denen niemand mehr Interesse hat und welche so einem langsamen Verfall ausgesetzt sind. Auf der ständigen Suche nach Flächen zur Nutzung für legales Graffiti stieß ich bei unseren Verantwortlichen – insbesondere Bürgermeister Prof. Ungerer – auf offene Ohren“, erinnert sich Initiator Tasso. Der Grundstein war gelegt, und seither pilgern jedes Jahr Künstler der Urbanen Kunst und Kultur nach Meerane, in eine Stadt, die geprägt war von der Textilindustrie und deren Fabriken heute verlassen stehen. Kunstförderung, kulturelles Bildungsangebot, internationales Szene-Event – all das ist die IBUg, und dennoch kann man nicht in Worte kleiden, was da alljährlich in Westsachsen passiert: Alte Balken werden zu Pferden, Fenster zu Bilderrahmen, Steckdosen zu Gesichtern, kurz: ungewollte Relikte der Industriegesellschaft zu Kunst für die Kulturgesellschaft. Zone56 , Künstler und Teammitglied der IBUg, glaubt: „…dass es eine Stimmung in den Gemäuern gibt. Da vor vielen Jahren in solchen Gebäuden Hochkonjunktur herrschte, bekommt man das als Künstler mit oder kann es zumindest erahnen, wenn man eine Weile dort am Werk ist. Die Architektur, der Verfall, das Ambiente gibt den Anreiz, etwas zu machen, das diese Einflüsse widerspiegelt. Wenn man das erste Mal die Hallen betritt, denkt man, eigentlich könnte alles so bleiben, wie es ist. Es ist schon ‚Kunst’. Ich hoffe, die eingeladenen Künstler – egal aus welchem Land – werden das spüren und in ihre Kunst mit einfließen lassen.“ Und sie tun es, Jahr für Jahr!

Projekte wie die IBUg sind ohne Gelder aus der Wirtschaft und breite Unterstützung eines gut funktionierenden Netzwerks nicht möglich. Vertrauen ist dabei das höchste Gut. Immerhin laden die Organisatoren internationale Künstler in eine Brache ein, die nicht selten zum Abriss freigegeben ist – Fluch und Segen zugleich. Segen, weil in diesem Niemandsland aus Unkraut und funktionslosen Mauern freie Kunstproduktion möglich ist. Alle Kunstwerke können bleiben, kein Nagel muss entfernt werden, keine Wand muss stehen bleiben. Die Künstler können ihrem kreativen Geist in der Gestaltung von Installationen folgen, die Themen sind frei. Fluch, weil jahrelange Arbeit notwendig ist, um das Vertrauen herzustellen. Immerhin kaufte die Stadt Meerane jahrelang die Brachlandschaften, entwickelt mit den Organisatoren gemeinsam ein temporäres Nutzungskonzept und unterstützt, wo sie kann. Und dennoch ist die Realisierung des Projektes alljährlich eine Hängepartie. Abgelegen vom Zentrum öffentlichen Interesses müssen Förderer und Sponsoren überzeugt werden. Ohne ein über Jahre gewachsenes Netzwerk aus Privatpersonen, regionalen und überregionalen Unternehmen und Kulturträgern, der Stadtverwaltung und dem eingeschworenen Team wäre die IBUg nicht nur aus finanzieller Sicht undenkbar.

Umso schöner ist daher die Entwicklung. Einst ein reiner Szenetreff, wurde das Projekt inzwischen in eine nichtöffentliche Kreativphase mit Künstlern aus dem In- und Ausland sowie eine Präsentationsphase unterteilt. Dieses Konzept hat sich bewährt und wird ständig weiterentwickelt. 2010 kamen mehr als 2.000 Besucher in ein umgestaltetes Palla-Werk . Spontane Konzerte mit den Besuchern, Performances, Führungen und Malaktionen mit den Künstlern fanden statt. Seit 2011 wächst die IBUg zu einem Festival für urbane Kultur. Ein Rahmenprogramm mit Kino, durch die Brache inspirierte Mode, Vorträgen zu Kunst im öffentlichen Raum und Umnutzungskonzepten, einer IBUg-Kneipe, wo Einheimische und Zugereiste an einem Tisch sitzen, und einem Urban Art Markt begleiten die Ausstellung. Ausstellung? Eine Ausstellung wird nicht wirklich geboten, vielmehr ein Gesamtkunstwerk, das nicht fertig ist und – auch während des Festivals – zum Gestalten einlädt.

Auch wenn die IBUg ein Jahresprojekt ist, stellt sie in einer Region, die den demografischen und gesellschaftlichen Wandel seit der Wende radikal erleben musste (vom wirtschaftsstarken Manchester des Ostens zu einer Abwanderungsregion), einen wichtigen Identifikationswert dar. Schließlich sind es immer noch die Brachen, in denen ein Gros der Bevölkerung einen erheblichen Teil seines Arbeitslebens verbracht hat und die von Künstlern nun das letzte, schönste Kleid auf den Leib geschneidert bekommen. Es ist doch ein erhebender Moment, wenn Enkel und Großeltern den Eingang passieren und gemeinsam durch eine Kunst-Brache gehen, die so vielschichtige Geschichten erzählt, sodass das Alter keine Rolle mehr spielt. War es früher die Industrie, die den Ton angab, ist es heute einmal jährlich die Kunst, die eine ganze Stadt in helle Aufregung versetzt. IBUg your life!

Maxi Kretzschmar in SOZIOkultur 2-13
www.ibug-art.de

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