Die Suche nach dem wahren Bild oder Digital Malewitsch

Eine Rezension eines Theaterabend im schönen Mai im schönen Weimar…

MXZEHN inszeniert im Deutschen Nationaltheater Weimar auf der großen Bühne “Zehn Quadrat” und das hat nix mit Quadraturen von Kreisen zu tun, sondern muss so. Das erste Mal seit 15 Jahren wohl bemerkt! Und das obwohl MXZEHN in Weimar das geworden sind, wofür sind bekannt sind: ephemere audiovisuelle Erlebnisse der Extraklasse.

Gong!

Stefan Kraus und Bahadir Hamdemir inszenieren Video theatral im Raum und beeindrucken Bauch und Brain gleichermaßen. Während die Anderen Stummfilmvertonung in 2D machen, macht MXZEHN großes Theater in 3D.

Gong!

4. Reihe, Mitte, yes!

Gong!

Die Bühne ist leer. Im hochgefahrenen Orchestergraben starten MXZEHN und die beiden Musiker Philipp Hiemann und Marc Sauter den Abend mit Scheinwerfern und einer sich über den Abend hervorragend entwickelnden Soundkulisse. Die Verhältnisse sind klar: rechts anolog, links digital.
Der einfahrende Monitor holt den Besucher bei seinen medialen Lesegewohnheiten ab. Zugleich erinnert er an eine Hommage an den Videopionier Nam June Paik und das pop artige Readymade, während die Scheinwerfer sich wie Suchscheinwerfer im Kampf um das nexte Bild gebärden. Einerseits inszenieren sie den faktischen Nebel im Saal, andererseits helfen sie den Nebel im medial unterschiedlich konditionierten Wahrnehmungsapparat der Besucher zu lichten. Jetzt geht´s los!
Eine weitere quadratische Leinwand mit 36 Rasterquadraten fährt ein, deren Mittelpunkt der Monitor bleibt. Zwischen klassischem Monitor und zeitgenössischer Leinwand scheint sich weniger sichtbar und dennoch omnipräsent die Geschichte der audiogetriggerten räumlichen Bilderflut und Videokunst zu entblättern. Während Alva Noto später ein kompaktes, in die Zeit gedehntes Bild zeigt, liest sich MXZEHN wie räumliches TV mit dreidimensionaler intermedialer Erzählstruktur. Wer jetzt immer noch in seinem gewohnten Rezeptionsverhalten verhaftet ist, wird mit rhythmisierten Buchstabenmustern eines Besseren belehrt. “Es ist, was es ist” scheint der ganze Raum sagen zu wollen. “Schaltet ab und kommt mit auf eine Reise mit 25 Masterpieces per seconds!”

MXZEHN sind trotz analogem Herzstück der medialen Welt verschrieben und erfüllen sich nach dem, wenn auch nonverbalen, doch fast scholastischem Intro ihren Traum des Ingenieurs. Sie nehmen das Publikum via animierte technische Zeichnungen, die noch Orientierung am Wahrnehmungshorizont des Publikums und damit des rationalisierten Alltags verspricht, mit in den Mittelpunkt der visuellen Technikwelt. Der Monitor vom Beginn weilt ruhig im Zentrum, während sich die projezierten Zahnräder stoisch um ihn drehen. Die hypnotische Wirkung beim Publikum lässt nicht lange auf sich warten und spätestens das zentrierte Feuerleuchten macht das digitale Lagerfeuer in seiner Wirkung perfekt – Massenhypnose per excellence! Und das in der Geburtsstätte der Hitlerjugend! Zufall? Absicht?
Pixelquadrate brechen Statistiken und Diagramme, die sich mit artifiziellen und doch natürlich anmutenden Bewegungen verschmelzen und so dem Bauhausgedanken der Einheit von Kunst und Technik einprägsame Bilder verleihen. Das aufgelayerte Raster wird zum Wahrnehmungsraster, das mal Blickrichtungen lenkt, um dann immer wieder das Bild zu brechen. Der Besucher fragt sich: Wie kann ich audiovisuell erfahrenes lesen? Wie erfasse ich den Sinn?
MXZEHN hat dafür eine Antwort: “Egal! Rave!” und legt über alles ihr MXZEHN-Raster, während die perfekt getimten Scheinwerfer die kollektive Besucherseele streicheln. Plötzlich wird es nahtodhell und die Assoziation zu Malewitschs Lebenswerk der schwarzen und weißen Quadrate drängt sich auf. Wenn Malewitsch ein Zeitgenosse wäre, würde er bestimmt minimalhörender Weise Medienkunst mit abertausenden Ebenen produzieren auf der Suche nach den perfekten schwarzen und weißen Quadraten… (aka Der Traum einer Kunstverständigen :-))

Zu Beginn des Outros befindet sich der Monitor wieder dort, wo er hingehört – im Zentrum der quadratischen Leinwand! Die Geschwister unterschiedlicher Generationen werden mit MXZEHN Classics, dem bereits bekanntem Raster und grafischen Grundelement bespielt und vereinen mühelos 50 Jahre Videokunstgeschichte. Das digital Bauhaus hat es ins Theater geschafft! Schlemmer wäre schon ein bisschen stolz auf die Weimarer Videopioniere…
Jedoch, der Tanz um den goldenen Minitor nimmt ein abruptes Ende, frei nach dem Motto: “Wenns am schönsten ist, soll man gehen.”
Und das tun die 4 Herren schließlich auch, nachdem sie das begeisterte Publikum euphorisch beklatschte.

tbc

www.mxzehn.com
www.alvanoto.com

Autorin: Maxi Kretzschmar, Kunst- und Kulturmanagerin

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