Ideen, an die Du glaubst

Ideen, an die Du glaubst

Die Musikszene Thüringens mausert sich. Nach Walter von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Franz Liszt und der Musikerfamilie Bach gestalten junge Musiker wie die Pentatones, Feindrehstar, Clueso und die STÜBAphilharmonie die Musiklandschaft in Thüringen.

Der musikalische Nährboden ist über Jahre gewachsen. Der Musiker Le Schnigg von der Weimarer Band Pentatones beschreibt die Situation: “Es sind einfach etliche gute Leute da geblieben oder nie mehr aus Thüringen weggekommen. Gleichzeitig sind die Wege so kurz, dass man gar nicht umhin kommt, diese guten Leute früher oder später zu treffen. Besonders in der elektronischen Musik, aber auch im Hip-Hop passieren auf diese angenehm ungezwungene Weise seit Jahren total spannende Sachen, die andernorts so nie stattgefunden hätten.”

Das SonneMondSterne-Festival – eines der größten Open-Air-Festivals elektronischer Musik in Deutschland – ist so eine Idee. 1997 mit ca. 1500 Besuchern erstmals über die Bühne gegangen, lockt das SonneMondSterne am zweiten Augustwochenende mehrere 10.000 Besucher nach Südostthüringen an die Bleilochtalsperre zum Feiern, Baden und Abschalten vom Alltag. Zwischen Wasser, Bergen und dem Thüringer Wald werden Zirkuszelte zu Dancefloors, Felder zu Zeltplätzen und Gästeschiffe zu Partybooten.
Als Schaufenster für die Szene zeigt die Agentur Seekers mit dem SonneMondSterne Jahr für Jahr mit Klassikern und Newcomern die Vielfalt elektronischer Musik. Das Lineup reicht 2010 vom britischen Elektronik-Duo Underworld bis zur deutschen Vorzeige-Band Die Fantastischen Vier, von dem deutschen Techno-Pionier Sven Väth bis zur Jenaer Krautclub-Band Feindrehstar.
Die Mitarbeiter der Jenaer Agentur um Rico Tietze hören privat elektronische Musik und wuchsen in einer Zeit auf, in der sie in Turnhallen, Kellern und ehemaligen Ställen im grünen Herzen Deutschlands tanzten. Ein Open Air musste her. Angefangen als eine Eintages-Veranstaltung entwickelte sich das SonneMondSterne zum wichtigsten Termin in der deutschen Elektro-Szene. Doch das familiäre Gefühl blieb: Für die Künstler ist das Festival mehr Ferienlager mit alten Freunden als Arbeit unter Kollegen. So wie die Künstler sind auch die Macher des SonneMondSterne mit Clubs, Platten-Labels und Agenturen vernetzt. Eine Sonderrolle in dieser Liste nehmen die Muna in Bad Klausterlausnitz, das Kassablanca in Jena und das Plattenlabel Freude am Tanzen ein.

Als Zentrum für Jugend- und Soziokultur 1990 gegründet, entwickelt sich das Kassablanca schnell als Geheimtipp in der Szene und unter Jenaer Jugendlichen. Eine Odyssee durch das Jenaer Zentrum brachte das Team schlussendlich in das heutige Domizil direkt am Bahnhof Jena West. Mit Mitteln des Thüringer Kultusministeriums und der Stadt Jena konnte das Areal nutzbar und durch den Ausbau des Eisenbahnturms, einem ehemaligen Lokschuppen und zahlreichen jetzt bunt bemalten Züge erweitert werden. Das Vereinsmitglied Thomas Sperling beschreibt den Klub-Aufbau als „hart, aber machbar“, spätestens wenn der Klub läuft, sei eine klare Aufgabenteilung notwendig. Viele anfangs passiv Konsumierende wechseln in die aktive Rolle. Thomas Sperling vergleicht den Prozess mit einem Samen, der in die Erde gegeben und gegossen wird. „Manche wachsen, manche nicht und manche wachsen über uns hinaus. Wir bieten Chancen, sich auszuprobieren.“
Die heutigen Labelbetreiber von Freude am Tanzen haben 1997 mit selbst organisierten Veranstaltungen im Kassablanca begonnen, bevor sie 1998 ihr Label gründeten und 2001 ihren Plattenladen in Jena eröffneten. Der Rest ist eine Erfolgsgeschichte: 2003 der erste Überraschungserfolg MK 006 von Robag Wrumme. Thomas Sperling: „Labelmacher sind Bauchmenschen. Am Ende entscheidet die Musik.“ Mit dem ersten Album der Band Feindrehstar im Sommer bei dem Schwesterlabel Musik Krause und im Oktober 2010 mit seiner 50. Veröffentlichung feiert das Label 2010 sein zwölfjähriges Jubiläum. Mit Feindrehstar schließt sich der Kreis der Thüringer Elektro-Szene: Erste Auftritte im Kassablanca, SonneMondSterne-Auftritt im Augst 2010 und das Album-Release bei Musik Krause – auch eine Idee, an die Feindrehstar glauben.

In Erfurt trägt die Ideenschmiede für junge Musik einen Namen: Zughafen. Der Zughafen ist ein freies Netzwerk von Künstlern, Organisatoren, Firmen und Projekten mit Sitz im alten Erfurter Güterbahnhof. Ausgehend von mehreren Musikstudios und einem Team um den Künstler Clueso hat sich der Zughafen zu einem Anziehungspunkt kreativer Köpfe entwickelt – unter ihnen: Marbert Rocel, Makabu, und die STÜBAphilharmonie. Die STÜBAphilharmonie ist ein Verein zur Förderung der Musik in Thüringen. Unter der musikalischen Leitung von Martin Lentz aus Weimar begleitet das Sinfonieorchester musikalisch Puppenspielaufführungen oder auch Clueso bei Live-Konzerten. Im Unterschied zu anderen Künstlern, die ihre Songs mit Sinfoniearchestern interpretieren, werden die Songs bei Clueso und STÜBA gemeinsam arrangiert und geprobt. Die Weimarer Musikstudentin Lorina Mattern beschreibt die Zusammenarbeit: „Wir sind kein Beiwerk oder Show, sondern musizieren gemeinsam.“ Ob als Weckdienstbeauftragter oder Dirigent, Auktionsleiter, Busfahrer oder DJ – bei STÜBA sitzen nicht nur alle in einem Boot, sondern jede/r rudert mit.

In Weimar befindet sich der musikalische Hafen im Gaswerk. Das Gaswerk, die Design- und Projektwerkstatt in der Schwanseestraße, ist ein Paradebeispiel eines soziokulturellen Zentrums in Thüringen. Seit seiner Gründung 1998 vereint es soziale und kulturelle Aspekte auf vielfältigste Art und Weise. Das Jahresprojekt Salon Pink beispielsweise knüpft an die Salonkultur des 18. und 19. Jahrhunderts um den Jenaer Salon an und bietet jungen Talenten eine Bühne, auf der sie lesen, musizieren und performen können. Die Projektleiterin Canan Yilmaz will „bestehende Dinge aufgreifen und in seiner Zeit weiter bearbeiten“. Ihr geht es um den Mix aus festen und spontanen Programmpunkten. Sie will „offen bleiben für Spontanes“ – das zeigt sich auch bei den monatlichen Terminen des Salons. Unter dem Titel „Zuhören, Wundern, Selbst Erzählen“ lädt der Salon Pink zum ”Bühnenbild ohne Stück” ein. Da treffen beispielsweise Texte des Berliner Design-Kollektivs Schroeter und Berger auf musikalische Spuren von Le Schnigg von den Pentatones. Beide laden das Publikum zu eigener künstlerischer Tätigkeit auf den offenen Bühnen ein. So werden die Grenzen zwischen Produzent und Konsument und die zwischen den Künsten durchlässig. Eingebettet in eine Ausstellung aus Malerei, Grafik, Fotografie und Medienkunst spürt man den Atem der Caroline Schelling, Salonière des frühromantischen Jenaer Salons.

So gesehen ist ganz Thüringen ein Salon, wo mehr Freunde als Kollegen miteinander arbeiten, Klubs und Labels betreiben, Festivals und Konzerte organisieren, selbst Musik machen oder dem musikalischen Nachwuchs eine Bühne bieten. Salon Thüringen – Die Musikfabrik!

Maxi Kretzschmar im Kulturjournal Mittelthüringen 04/2010: Mit Pauken und Trompeten – Musik in Mittelthüringen

Mehr Informationen unter
www.sonnemondsterne.de
http://kassablanca.de
www.freude-am-tanzen.com
www.feindrehstar.de
www.zughafen.de
www.clueso.de
www.stueba.de
www.schwansee92.de

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