SAUGKULTUR » maxi kretzschmar http://saugkultur.org Eine Initiative gegen Kulturdepression und für freie Entfaltung kreativen Potentials Tue, 09 May 2017 11:47:08 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=4.0 K.O.O.K. – Kick Off! Okay? http://saugkultur.org/k-o-o-k-kick-off-okay/ http://saugkultur.org/k-o-o-k-kick-off-okay/#comments Sat, 29 Apr 2017 14:47:33 +0000 http://saugkultur.org/?p=1774 Weiterlesen ]]> Wir fahren im Wonnemonat Mai auf die Artmuc nach München und haben unsere Lieblinge dabei, einige Künstler und ein buntes Programm.

 

Artists K.O.O.K. – Kick Off! Okay?

Robin Abramovic
geb. 1982 in Wien, Künstler. Lebt und arbeitet in Leipzig
Raphael Biller
geb. 1982 in Halle/Saale, Produktdesigner. Lebt und arbeitet in Leipzig
Darko Caramello
geb. 1979 in Göttingen, Künstler. Lebt und arbeitet in Hamburg
Innerfields
gefunden 1998 in Berlin, Künstlerkollektiv. Lebt und arbeitet in Berlin
Sebastian Osterhaus
geb. 1981 in Ibbenbüren (NRW), Künstler. Lebt und arbeitet in Münster
Lucian Patermann
geb. 1985 in Weimar, Künstler und Theatermacher. Lebt und arbeitet in Leipzig und Weimar
Guido Zimmermann
geb. 1978 in Frankfurt am Main, Künstler. Lebt und arbeitet in Frankfurt am Main

Programm 25. – 28.05.

+ Messeausstellung K.O.O.K. – Kick Off! Okay?
+ Kompetent + gefairlich selction – kuratiert von Robin Abramovic (Bambsy) und Maxi Kretzschmar (Kompetent + gefairlich) mit Christopher Kieling (Malerei), Beastiestylez (Malerei), Florian Huber (Malerei) und Elmar Karla (Druckgrafik)

Donnerstag, 25.05., 18.00 Hello München! Meet & Greet the Artists

Freitag, 26.05., 18:00 Talk Marco Reinhardt (www.aerosolad.com): Graffiti als effektives Gestaltungsmittel
tbc

Samstag, 27.05., 18.00 Artist Talk Robin Abramovic: Digital Street Art
Robin Abramovic führt in seinem Talk in die Techniken der Urban Light Art ein, gewährt Einblicke in sein aktuelles Schaffen und zeigt vergängliche magische Inszenierungen im urbanen Raum. Um den Kreis zu schließen erläutert er die Zusammenhänge und Wachstumspotentiale von Urban Art und Internet.

Sonntag, 28.05., 12.00 Art & Breakfast

Ort
Praterinsel 3 – 4, 80538 München
Eingang über den Haupteingang der Praterinsel
Haus 3, E2


ARTMUC ist Bayerns größte Produzentenmesse für zeitgenössische Kunst. Rund 350 Künstler und über 50 Projekte, Plattformen und Institutionen präsentierten sich bisher in den Jahren 2014, 2015 und 2016 einem breitgefächerten und interessierten Publikum. Den Fokus der Messe setzt der Veranstalter Raiko Schwalbe dabei bewußt neben dem Verkauf der gezeigten Kunstwerke auf das Netzwerken der Künstler untereinander sowie den Ausbau der Präentationsmöglichkeiten der Künstler. Das Motto “entdeckt werden und Netzwerke aufbauen” wir dabei vor allem durch die Verzahnung von Kunstschaffenden, den beteiligten Plattformen und Projekten sowie den Besuchern aus allen kunst-relevanten Bereichen forciert.

Darko Caramello Darko Caramello ]]>
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Kulturindustrie trifft auf Industriekultur im Leipziger Westen http://saugkultur.org/kulturindustrie-trifft-auf-industriekultur-im-leipziger-westen/ http://saugkultur.org/kulturindustrie-trifft-auf-industriekultur-im-leipziger-westen/#comments Mon, 26 Sep 2016 22:26:14 +0000 http://saugkultur.org/?p=1742 Weiterlesen ]]> Als ich 2001 in Manchester war, strahlten sie mich an: Die perfekt-industriell sanierten Fabriken, die heute von Kunst und Kultur leben. Zurück in Deutschland fragte ich mich immer, wann es denn endlich in Leipzig los ginge… Expo 2000 vorbei und damit auch die Gelder in den Karl-Heine-Kanal, Industriebauten und Freiflächen im Leipziger Westen investiert, dauerte es noch ca. 5 Jahre bis wieder Schwung in die sichtbaren Entwicklungen kam.

Das Tapetenwerk im Leipziger Westen ist eine andere Generation und eine andere Kultur, nicht Manchester, nicht Expo.

Das Werk wird Schritt für Schritt bedarfsorientiert und bodenständig renoviert. Gegründet 1873 von Robert und Adolf Langhammer war es zeitweise das zweitgrößte Tapetenwerk in Deutschland. 2017 feiert es seit seinem ersten Tapetenwerksfest 10 Jahre sanftes Umnutzungs-Jubiläum. 2012 wurde es in die Good-Practice-Datenbank der Netzwerkreihe „wieweiterleben – Arbeitsorte der Zukunft“ der Bundesstiftung Baukultur aufgenommen.

Das Nutzungskonzept sah von Beginn an vor, die historische Fabrikanlage schrittweise auszubauen, um preiswerte, aber professionelle Arbeits- und Kommunikationsräume für Kreative zu schaffen und diese regelmäßig und unabhängig für Ausstellungen, Workshops und Lesungen zu öffnen. Dabei sollen der Charme der alten Industriearchitektur und das Tapetenwerk als „Produktionsstätte“ erhalten bleiben: für Künstler, Designer, Architekten, für kreatives Handwerk wie die Longboard-Werkstatt „Shredderei“, neue Arbeitswelten wie den Coworking-Space „Raumstation“ und Urban Culture.

 

Im August 2015 eröffnete die „Galerie Hier + Jetzt” im Tapetenwerkshof und die Galeristen Maxi Kretzschmar, Ivo Zibulla und Gerlinde Ritter gestalten fortan ein interdisziplinäres Ausstellungsprogramm zwischen klassischem Kunstmarkt und Urban Culture. Die Galerie vertritt junge und etablierte Künstler aus dem Genre urban contemporary.

In wechselnden Ausstellungen zeigen die Künstler Malereien, Grafik, Fotografie und Objekte sowie genreübergreifende Positionen ihres aktuellen Schaffens. Die Künstler verbindet die Lust an der Ästhetik der Straße sowie am zeitgenössischen Kunstdiskurs.

Neben dem klassischen Ausstellungsbetrieb liegt der Fokus auf der Kunstvermittlung, Beratung und Netzwerkarbeit. Die Galeristen bringen Wandprojekte im öffentlichen Raum auf den Weg und machen vor allem den zuweilen tristen Leipziger Westen ein wenig freundlicher. Aus Westkultur wird Urban Culture.

 

Bastlboards hat seit 2011 die passenden Longboards für die neuen Mitbewohner im Viertel und das womöglich gesündeste Kaffee- und Kuchengedeck im Leipziger Westen, weil mit Herz, gering süß und oft vegan.

Als Bastl damals von Würzburg nach Leipzig kam, vermittelte ihm die Wirtschaftsabteilung der Stadt die „gläserne Werkstatt“ im Tapetenwerk. „Das isses. Hier kann ich mich wohlfühlen.“ Tatkräftig baute er innerhalb von zwei Jahren seinen Flagshipstore Shredderei auf, ein Werkstattcafé und einen Online-Katalog, wo Menschen aus Asien, lokale Skateshops und Onlineshops ihren Traum auf Rädern genießen können. „Mein Laden ist ein kleines Universum, das in sich gut funktioniert. Er ist uns neben der GmbH Wohnzimmer zum kulturellen Austausch und Treffpunkt der Szene. Die Longboarder sind per se aufgeschlossen, entspannt, offen und der beste Skater ist der, der am meisten Spaß hat.“

Spaß und Community scheinen das Unternehmensgeheimnis zu sein, das auch den Leipziger Illustrator und Comiczeichner Ralph Niese zu seinem neuen Schreibtisch im Shredderei-Büro zog. Im letzten Jahr gestaltete er bereits eine Longboard-Kollektion mit seinen Bilderwelten – eine von neun Kollektionen in den letzten zehn Jahren. Die Kunstwerke auf Rädern schmücken den Laden und sind neben den rund 100 verkauften Brettern pro Monat essentieller Teil des „gläsernen Unternehmens als tragfähiges Konzept für die Zukunft.“ Die Entscheidung ins Tapetenwerk zu ziehen, war also die richtige und Bastl freut sich über die Veränderungen im Viertel hin zu einem quicklebendigen Henriettenpark, wo trickreiche Skater und Basketballer neben den Picknickdecken auf den Wiesen ihre urbane Freiheit genießen, die wiederum die Picknicker freut. Und das Tapetenwerk als Anlaufpunkt für Kunst und Kultur, Kaffee und Kuchen mittendrin. Wer hätte das noch vor 10 Jahren gedacht?

Das #huj-Netzwerk:
Ungestalt www.ungestalt.de
Kreatives Leipzig e. V. www.kreatives-leipzig.de
Maxi Kretzschmar/Saugkultur www.saugkultur.org
Joachim Bartz www.wagebundt.com
Tapetenwerk www.tapetenwerk.de
Shredderei www.shredderei.com

Autorin: Maxi Kretzschmar (Kunst- und Kulturmanagerin, www.saugkultur.org)

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Darf ich vorstellen? http://saugkultur.org/darf-ich-vorstellen/ http://saugkultur.org/darf-ich-vorstellen/#comments Mon, 17 Nov 2014 11:12:11 +0000 http://saugkultur.org/?p=1648 Weiterlesen ]]> Das Jugend- und Kulturzentrum mon ami in Weimar

Als ich 2007 lange nach dem obligatorischen Schulausflug Buchenwald/Weimar in der Klassikerstadt ankam, suchte ich, obwohl ganz zentral gelegen, 45 Minuten das Jugend- und Kulturzentrum mon ami. Weimar ist klein und hat viele Einbahnstraßen. Wähnt man sich am Ziel, ist man auch schon vorbei und die Runde beginnt von vorn.
Endlich angekommen begrüßte mich Helfried Schmidt, künstlerisch-pädagogischer Leiter im mon ami, herzlich mit den Worten, ob bei mir alles ok sei. Ich bejahte brav, schließlich war ich 2 Stunden zu spät zum Bewerbungsgespräch angekommen. Nach all den Jahren frage ich 7 Jahre später: mon ami, wie geht es Dir?

Helfried, das Sprachrohr des mon ami fängt an zu erzählen. Von früher!
1860 als Klubhaus „Erholung“ von der „Bürgerlichen Erholungsgesellschaft zu Weimar“ gegründet, waren der Komponist Franz Liszt, der Architekt Clemens Wenzeslaus Coudray und andere gern gesehene Gäste in dem neoklassizistischen Gebäude. Im 1. und 2. WK beherbergte das Gebäude kommunale Behörden. Der Saal wurde für Veranstaltungen genutzt, auch für Adolf Hitlers Brandreden! Nach dem 2. WK richtete sich die amerikanische Kommandantur für sechs Wochen in dem Gebäude ein und stellte Persilscheine aus. So hieß das „Klubhaus der Jugend Walter Ulbricht“ im Volksmund immer „der Ami“ bzw. „der schwule Ami“ und seit den 1970er Jahren in der Narrenzeit: „Komm ins mon ami“ und sie kamen! Bunte Gestalten, das Weimarer Bürgertum und die Menschen aus der Region, um Karneval zu feiern, als gäb´s keinen Aschermittwoch geschweige denn die DDR. Die Wirren der politischen Wende schließlich zog in den 1990er Jahren eine 3-jährige Sanierungspause nach sich, die mit dem Kulturstadtjahr 1999 ihr Ende fand. Mit neuem Konzept öffnete das mon ami als damals teuerstes soziokulturelles Zentrum mit einem Bau-Etat von 10 Mio DM seine Pforten für „Weimars Restkultur“ wie Helfried Schmidt die schier unmögliche Aufgabe beschreibt, eine offene Bühne für das Weimarer Kulturnetzwerk zu bieten, dabei aber dem hohen qualitativen Ansprüchen der Stadt gerecht zu werden. Bereits vor Wiedereröffnung lehnten die Stadtobersten mehrere Angebote von unterschiedlichen Weimarer Kulturinitiativen als zu teuer ab und seither ist das Jahresbudget mehr als begrenzt. Die ersten Jahre meisterte Helfried und sein Team sogar ohne Bühnenlicht, weil das Geld schlichtweg verbraucht war. Seither setzt die Stadtverwaltung auf Verschleiß an Haus und Profil, indem keine Investitionen getätigt werden und die freie Programmgestaltung durch ökonomischen Druck eingeschränkt wird.

Trotzdessen ist das mon ami zertifiziertes Ökoprofitunternehmen seit 2008 und vertritt den Sonderfall „Jugend- und Kulturzentren“, wo eigentlich Firmen und Stadtverwaltungen zertifiziert werden. Im mon ami bezieht sich der Ökoprofit auf den Umgang mit Beleuchtungstechnik sowie bei An- und Umbauten. Dabei ist das Ziel der Stadtverwaltung Weimar, das Haus in freie Trägerschaft zu bringen. Doch das Bürgerbegehren signalisiert kein Interesse an einer Übernahme und fordert freien Raum für das Weimarer Kultur-Netzwerk. Es soll Nachwuchsschmiede sein. Kooperationen mit anderen Veranstaltern eingehen. Es soll ins Stadtbild gehen. Wie gern würde Helfried wieder Fassadenprojektionen wie „Das rasende Bauhaus“ im Bauhausjahr 2009 machen!? Oder seinem Programm-Highlight „Weihnacht privat – Hubert und Harry laden zu weihnachtlichen Vorbereitungen“ auch in 5 Jahren eine sichere Bühne bieten!? Oder wie zur „15 Jahre Soziokultur Festwoche“ viele verschiedene Nutzergruppen zusammenführen und eine gemeinsame Kulturproduktion (Kirche vs. Zirkus) umsetzen!? Helfried lebt Soziokultur „Tag für Tag. Aber sie basiert auf Förderungen und als städtische Einrichtung haben wir kaum Fördermöglichkeiten.“ Helfried versteht mittelfristige Nachhaltigkeit als die Pflege tragender Partnerschaften sowie Planungssicherheit bis Ende nächsten Jahres intern und extern. Langfristig wünscht er sich 3 bis 5 Jahre Planungssicherheit.

Sein Fazit: „Es ist ein ewiges Hin und Her. Erst dieses Jahr haben wir zwei neue Konzeptionen mit a) Programm und b) Beseitigung von baulichen Mängeln des Hauses bei der Stadtverwaltung eingereicht, die werden aber stiefmütterlich behandelt. Dabei stelle ich die städtische Trägerschaft nie in Frage. Ich persönlich habe keine Zukunftsängste, aber die Zukunft für das mon ami sieht nicht rosig aus. Einerseits bemängeln die Menschen, dass das Haus profillos sei, andere loben genau das.“
Weimar ist klein und hat viele Einbahnstraßen. Wähnt man sich am Ziel, ist man auch schon vorbei und die Runde beginnt von vorn. Viel zu früh verabschieden sich Helfried und ich uns mit einem herzlichen „Lass es Dir gut gehen, mon ami.“

Maxi Kretzschmar in SOZIOkultur 1-2015
www.mon-ami.de

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Transformation der Industrie http://saugkultur.org/transformation-der-industrie/ http://saugkultur.org/transformation-der-industrie/#comments Wed, 29 Oct 2014 11:03:35 +0000 http://saugkultur.org/?p=1642 Weiterlesen ]]> Das Urban Culture Festival IBUg (Industriebrachenumgestaltung) in Trägerschaft des gemeinnützigen Vereins KulturTragWerk e.V. verwandelt Relikte des Industriezeitalters zu temporären Gesamtkunstwerken und begleitet den Wandel von der Industriekultur hin zur Kulturindustrie.
Bei dem jährlich von dem IBUg-Team organisierten Kunstfestival werden Industriebrachen in Westsachsen, dem Manchester des Ostens, für die internationale Graffiti-, Street Art- und Medienkunstszene geöffnet.
Der Verein setzt damit in einer Region, die durch industriellen und demographischen Wandel umfangreichen Veränderungen ausgesetzt ist, Impulse im kreativen Umgang mit der Vergangenheit und öffnet damit den Blick für Neues. Im kollaborativen Experiment mit Bildkulturen, Genres, Materialien und Techniken entsteht ortsspezifische Kunst, welche die Geschichte und Architektur der Brache aufgreift, aktuelles Zeitgeschehen spiegelt und verlassenen Mauern neues Leben einhaucht.
Die IBUg verwandelt Zeugen der sächsischen Industriekultur zu temporären Gesamtkunstwerken und einem einzigartigen Festivalgelände, wo urbane Kultur in Mode, Film, Musik, Design und Kunst gelebt wird.

Autorin: Maxi Kretzschmar im Blickwinkel, Unternehmensperiodikum der Brain AG
www.ibug-art.de

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Urbane Kunst, Steckdosengesichter und neue alte Räume… http://saugkultur.org/urbane-kunst-steckdosengesichter-und-neue-alte-raume/ http://saugkultur.org/urbane-kunst-steckdosengesichter-und-neue-alte-raume/#comments Tue, 04 Jun 2013 09:29:50 +0000 http://saugkultur.org/?p=1528 Weiterlesen ]]> Es gibt Kunst im öffentlichen Raum, Kunst am Bau und Freie Kunst.

Die Vorreiter heutiger Kulturpolitiker haben im Zuge der Modernisierung seit der Aufklärung diese Unterscheidung eingeführt. Die Freie Kunst entwickelt sich seither prächtig in Museen, Galerien und Kunsträumen in Stadt und Land. Eine Avantgarde löst die andere ab, der Pluralismus in den Kunstströmungen entsteht. Inhaltliche und institutionelle Verzweigungen und Vernetzungen werden in Deutschland wie in keinem anderen europäischen Land gefördert. Schließlich hat sich Deutschland seit Goethe und Schiller zu einer Nation entwickelt, die sich über ihre Kunst- und Kulturgüter definiert. Kunst hat gesellschaftlichen Wert, vor allem Kunst im öffentlichen Raum. Bauherren öffentlicher Gebäude müssen einen bestimmten Prozentsatz der Baukosten in Kunst am Bau investieren, Kunst im öffentlichen Raum hingegen wird durch kommunale Ausschreibungen befördert. Die künstlerische Freiheit allerdings ist weit entfernt. Künstlerische Eigeninitiative ist nicht vorgesehen und Privatbesitzer investieren Unsummen in die Befreiung ihres Besitzes von “Graffitischmierereien”. So weit der Ist-Zustand. (Was ist, wenn es keine Grenzen gäbe zwischen den Kunstorten, wie es bis zur Aufklärung der Fall war?)

Urbane Kunst blendet diese Grenzen aus. Die Künstler tragen die Freie Kunst in den öffentlichen Raum, sie malen und ritzen Figuren, wie es die Ureinwohner Europas in Höhlen taten. Sie kleben Plakate wie die alten Römer, befreien Schablonen von ihren dekorativen, später politischen Inhalten und installieren Objekte wie der Kleingärtner Gartenzwerge. Sie ergänzen aktiv die Arbeit von Stadtplanern und Architekten, Kommunalpolitikern und Quartiersmanagern, Sozialarbeitern und Kulturbeauftragten, indem sie die Stadt zur Galerie erklären.

Urban Art gibt Stadtteilen ein Gesicht, das freundlich lächelnd zum Gespräch einlädt. Im Gegensatz zu Graffiti, das als popkulturelles Phänomen seit den 1980er Jahren die westliche Welt mit großen und kleinen Schriftzügen (Styles und Tags) und Figuren (Characters) überzieht, deren Bedeutung sich nur Eingeschworenen erschließt, als Sachbeschädigung bewertet gesellschaftlich geächtet wird, spricht urbane Kunst (Urban Art) mit ihrer meist einfachen Bildsprache den lokalen Kommunikationscode und greift soziale und architektonische Strukturen der lokalen Wirklichkeit auf. Sie bedient sich der Mittel der Werbeindustrie, bevor sie im Prozess einer offiziellen Kunst-Ausschreibung an Kraft verliert. Urban Art ist Freie Kunst.

In Westsachsen gibt es – wie in vielen ostdeutschen Städten, in denen ehemals eine produzierende Industrie existiert hat – sehr viele brachliegende Industriebetriebe und Fabriken, an denen niemand mehr Interesse hat und welche so einem langsamen Verfall ausgesetzt sind. Diese Brachen sind der ideale Ausgangspunkt für eine besondere Form der Urban Art: hier treffen bauliche Zerfallsprozesse gepaart mit ungeplanten Renaturalisierungsprozessen und regional-geschichtliche Bedeutung auf kreative Neuschöpfungen. Marode Produktionsräume werden neu gedeutet, gestaltet und zumindest temporär wiederbelebt. Relikte vergangener Alltäglichkeiten werden integriert, sich aber nicht von diesen abhängig gemacht. Die freie Kunst trifft sich – losgelöst von Galerie- und Kunstmarktmechanismen – mit der Bevölkerung, in dem sie deren ehemalige Arbeits- und auch Lebensmittelpunkte in etwas Lebendiges verwandelt.

Dennoch kann man kaum in Worte kleiden, was da alljährlich passiert: Alte Balken werden zu Pferden, Fenster zu Bilderrahmen, Steckdosen zu Gesichtern, kurz: Die Überbleibsel der Industriegesellschaft werden zu urbanen Kunstobjekten. Die IBUg stellt in einer Region, die den demografischen und gesellschaftlichen Wandel seit der Wende radikal erleben musste (vom wirtschaftsstarken “Manchester des Ostens” zu einer Abwanderungsregion), einen wichtigen Identifikationswert dar. Schließlich sind es die Brachen, in denen ein Gros der Bevölkerung einen erheblichen Teil ihres Arbeitslebens verbracht hat und die von Künstlern nun das letzte, schönste Kleid auf den Leib geschneidert bekommen. Es ist doch ein erhebender Moment, wenn Enkel und Großeltern den Eingang passieren und gemeinsam durch eine Kunst-Brache gehen, die so vielschichtige Geschichten erzählt, dass Alter keine Rolle mehr spielt. War es früher die Industrie, die den Ton angab, ist es heute einmal jährlich die Kunst, die eine ganze Stadt in helle Aufregung versetzt.

Zone56, Künstler und Teammitglied der IBUg, glaubt: „…dass es eine Stimmung in den Gemäuern gibt. Da vor vielen Jahren in solchen Gebäuden Hochkonjunktur herrschte, bekommt man das als Künstler mit oder kann es zumindest erahnen, wenn man eine Weile dort am Werk ist.

Die Architektur, der Verfall, das Ambiente gibt den Anreiz, etwas zu machen, das diese Einflüsse widerspiegelt. Wenn man das erste Mal die Hallen betritt, denkt man, eigentlich könnte alles so bleiben, wie es ist. Es ist schon ‚Kunst’. Ich hoffe, die eingeladenen Künstler – egal aus welchem Land – werden das spüren und in ihre Kunst mit einfließen lassen.“ Und sie tun es, Jahr für Jahr!

Projekte wie die IBUg sind ohne Gelder aus der Wirtschaft und breite Unterstützung eines gut funktionierenden Netzwerks nicht möglich. Vertrauen ist dabei das höchste Gut. Immerhin laden die Organisatoren internationale Künstler in eine Brache ein, die nicht selten zum Abriss freigegeben ist – Fluch und Segen zugleich. 
Segen, weil in diesem Niemandsland aus Unkraut und funktionslosen Mauern freie Kunstproduktionen, die mit Raum und Geschichte des Geländes spielen, möglich sind. Alle Kunstwerke können bleiben, kein Nagel muss entfernt werden, keine Wand muss stehen bleiben. Die Kunst nimmt sich den Raum, den sie braucht und die Künstler können ihrem kreativen Geist folgen. Die Themen sind frei aber nicht egal. Es liegt ein Spirit in der Luft, der die Künstler zusammenhält und bei organisiertem Chaos das Gesamtkunstwerk IBUg ermöglicht.

Fluch, weil jahrelange Arbeit notwendig ist, um das Vertrauen herzustellen. Immerhin kaufte die Stadt Meerane jahrelang die Brachlandschaften, entwickelte mit den Organisatoren gemeinsam ein temporäres Nutzungskonzept und unterstützte, wo sie kann. Und dennoch ist die Realisierung des Projektes alljährlich eine Hängepartie. Abgelegen vom Zentrum öffentlichen Interesses müssen Förderer und Sponsoren überzeugt werden. Ohne ein über Jahre gewachsenes Netzwerk aus Privatpersonen, regionalen und überregionalen Unternehmen und Kulturträgern, den Stadtverwaltungen und einem eingeschworenen Team wäre die IBUg nicht nur aus finanzieller Sicht undenkbar.

Umso schöner ist daher die Entwicklung. Einst ein reiner Szenetreff, wurde das Projekt inzwischen in eine nichtöffentliche Kreativphase mit Künstlern aus dem In- und Ausland sowie eine Präsentationsphase unterteilt. Dieses Konzept hat sich bewährt und wird ständig weiterentwickelt. 2012 kamen fast 5.000 Besucher in den ehemaligen Glauchauer Schlachthof.

Spontane Konzerte mit den Besuchern, Performances, Führungen und Malaktionen fanden statt. Ein Rahmenprogramm mit Kino, IBUg-inspirierter Mode, Vorträgen und einer Diskussionsrunde zu Kunst im öffentlichen Raum und Umnutzungskonzepten, einer IBUg-Kneipe, in der Einheimische und Zugereiste an einem Tisch sitzen, und einem Urban Art Markt begleiten die Ausstellung. Ausstellung? Eine Ausstellung wird nicht wirklich geboten, vielmehr ein Gesamtkunstwerk, das nie fertig ist und – auch während des Festivals – zum Gestalten einlädt. IBUg your life and get together!

Autorin: Maxi Kretzschmar, Kunst- und Kulturmanagerin für Broschüre IBUg 2013
www.ibug-art.de

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IBUg Betriebssystem LeHH http://saugkultur.org/ibug-betriebssystem-lehh/ http://saugkultur.org/ibug-betriebssystem-lehh/#comments Wed, 18 Apr 2012 06:46:39 +0000 http://saugkultur.org/?p=1120 Weiterlesen ]]> Leipziger und Hamburger Künstler/Künstlercrews treten in den künstlerischen Dialog und entwickeln in den Räume im Verwaltungsgebäude des ENERGIEkombinats Böhlitz-Ehrenberg in Kleinparis Leipzig das IBUg Betriebssystem LeHH.

Betriebssystem Le wird durch Leipziger Künstler entwickelt, deren Produktionsphase mit einer Vernissage abgeschlossen wird. Betriebssystem HH ist eine Weiterentwicklung von Betriebssystem Le durch Hamburger Künstler. Die Finissage präsentiert die Entwicklung von der künstlerischen Lochkarte über das synästhetische Apple Mac OS X und das linientreue Linux hin zum finalen IBUg Betriebssystem LeHH. Die Zukunft kann kommen!

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Künstler
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Verstyler Le www.verstyler.de
Zonenkinder HH www.zonenkinder.blogsport.de
Christian Rug Le www.walk-the-line.eu
Leif Lobinsky Le
Threehouse Le www.threehouse.de
dial Le
Zone56 GC www.zone56.de
Flamat Le http://flamat.de/
Gab, Jolly Fellow, Minka, Lower, La Bohème Le http://streetfiles.org/jolly-fellow
Rebelzer HH www.rebelzer.com
Los Piratoz HH www.los-piratoz-buch.net
Stuka HH http://mueckner.com/
Maxi Kretzschmar Le www.saugkultur.org
Tshunc Le www.tshunc.de
Help Meerane
Tasek HH http://tasek.de/
Kim-Fabian von Dall´Armi HH

Vernissage Le: Freitag, 20. April 2012, 20.00 Uhr
Vernissage HH – Freitag, 27. April 2012, 20.00 Uhr
Finissage LeHH- Freitag, 4. Mai 2012, 20.00 Uhr
Ausstellungszeitraum Le: 21./22. April 2012, 15.00 bis 19.00 Uhr
Ausstellungszeitraum HH: 28./29. April 2012, 15.00 bis 19.00 Uhr

Kooperationspartner: Betriebsausflug Leipzig Hamburg, Le Wert, ENERGIEkombinat
Mehr Informationen unter www.ibug-art.de

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Kunstwerk von Blek le Rat nach 21 Jahren in Leipzig-Kleinparis wieder entdeckt http://saugkultur.org/kunstwerk-von-blek-le-rat-nach-21-jahren-in-leipzig-kleinparis-wieder-entdeckt/ http://saugkultur.org/kunstwerk-von-blek-le-rat-nach-21-jahren-in-leipzig-kleinparis-wieder-entdeckt/#comments Fri, 02 Mar 2012 23:48:24 +0000 http://saugkultur.org/?p=1484 Weiterlesen ]]>  

Blek le Rat_Resaturierung_2012

Das ist der bisher unveröffentlichte Text, der den Denkmalschutz von Blek le Rat´s Madonna ins Rollen brachte:

Das Kunstwerk befindet sich in Leipzig Zentrum Süd an einem Haussockel. Laut Blek le Rat ist es das ältestes im öffentlichen Raum erhaltene Schablonen-Graffito des Graffiti-Pionier weltweit.
Blek le Rat ist ein internationaler Künstler und gilt als Vater der nicht politischen Schablonengraffiti, auch als Pochoir bekannt. Er begann seine Arbeit auf den Straßen von Paris mit zahlreichen Ratten, Panzern und Bananen. Bereits im Jahr 1971, lange bevor die erste Graffitiwelle mit dem Film Wildstyle (1983) aus den USA nach Europa schwappte, reiste Blek le Rat durch die USA und war überwältigt von den sich täglich vermehrenden Graffiti (Styles, Pieces und Characters), die wie farbenfrohe Pflanzen an den Wänden der Städte entlang rankten. Trotz des ursprünglichen Styleeinflusses entschied er sich 1981 für seine künstlerische Arbeit mit Schablonen zu arbeiten und sprühte in den 1980er Jahren verschiedene lebensgroße Menschenfiguren aus der Welt der Popkultur und verschiedene Madonnenfiguren seit der Renaissance nach Vorlagen alter Meister wie Caravaggio und Michelangelo. 2011 feierte er sein 30jähriges Sprüherjubiläum. “Sie sind meine Gestalten, sie ähneln mir alle irgendwie, sie stellten mich der Welt vor, wie eine Person sich einer anderen vorstellt. Wann immer ich sie auf die Wände malte, hatte ich das Gefühl, einen Teil von mir selbst an den Wänden aller Städte, die ich besuchte, zu lassen.”

Als eines seiner ersten Graffiti und damit eines der ersten Pochoirs in Deutschland gilt “Madonna mit Kind” (1989-1991). Als Vorbild diente Caravaggios “Madonna der Pilgerer” (1603-1605). Das Graffito ist seiner Frau Sybille gewidmet, die er bei einem Besuch an der Universität Leipzig während des Graffiti-Festivals Galerie Ephemere im September 1991 kennen lernte. An dem Festival nahmen 20 Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und Frankreich teil. Die Leipziger Künstlergruppe setzte sich aus 5 Künsterlnnen aus der hiesigen Galerie Globus und Galerist Jost Braun zusammen, unter ihnen waren Jens Pfuhler, Gudrun Petersdorff, Steffen Balmer, Ingo Regel und Nowacky. Während des Festivals entstand die erste Dauerausstellung für Pochoirkunst im Seminargebäude der Universität Leipzig, sechs Fahnen und unzählige Fotos. Seit der Renovierung des Universitätscampus befinden sich die 100 großformatigen Arbeiten im Magazin der Universität Leipzig und sollen in den nächsten Jahren reinstalliert werden. Einige der Arbeiten der teilnehmenden Künstler fanden ihren Weg in den Leipziger Stadtraum, insbesondere im Leipziger Süden entstand die erste Street Art Galerie Leipzigs. Xavier Prou: “It is funny because  at that time graffiti art was not considered like a criminal act as it is now.” (Fotos der Südvorstadt und Connewitz aus dem Jahr 1989 zeigen noch graue Wände, mit der politischen Wende und den westlichen Einflüssen änderte sich das Erscheinungsbild schlagartig).

Bei Renovierungsarbeiten ist nach Jahren unter Plakaten die “Madonna mit Kind” wieder zum Vorschein gekommen. Der Besitzer des Hauses hat seine Unterstützung beim Erhalt des 21 Jahre alten Kunstwerks zugesagt. Aktuell wird geprüft, wie und wo das Pochoir für die Zukunft erhalten werden kann. (…) Der Schöpfer unterstützt die Erhaltungsbemühungen und steht für die Restauration zur Verfügung, ist sich aber der Vergänglichkeit seiner Kunst bewusst: “C’est la vie, it´s Graffiti”.

Laut dem internationalen Künstler Loomit ist die Leipziger Madonna das älteste Pochoir im öffentlichen Raum Deutschlands und hochgradig schützenswert, verschiedene Szenestimmen bestätigen dies. Im deutschsprachigen Raum gibt es zwei Beispiele von in Schutznahme von Graffiti :

–       Denkmalschutz « Liebespaar » (ohne Jahr) des Aachener Wandmaler Klaus Paier in http://www.focus.de/kultur/diverses/denkmaeler-paiers-graffiti-unter-denkmalschutz_aid_623402.html (interessante Aussagen des rheinischen Denkmalschutzamtes), laut Wikipedia wird aktuell geprüft, ob sein gesamtes Werk in Aachen unter Denkmalschutz gestellt wird (http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Paier_(Graffiti-Künstler))

–       Restaurierung und Konservierung « Undine » (1978) des Sprayers von Zürich Harald Nägli (http://de.wikipedia.org/wiki/Harald_Naegeli)

International gibt es zwei weitere Beispiele :

–       Arbeiten des internationalen Streetartists Banksy in Bristol wurden per Volksentscheid unter Schutz gestellt http://www.arte.tv/de/2913810,CmC=2914082.html (http://de.wikipedia.org/wiki/Banksy)

–       Keith Harings Wandarbeiten in New York und Italien http://www.comune.pisa.it/turismo/itinerari/haring-gb.htm  (http://de.wikipedia.org/wiki/Keith_Haring)

Im September 2011 wurde im Kunsthaus Bethanien eine Arbeit von Banksy aus dem Jahr 2003 offen gelegt und löste eine deutschlandweite Welle der Berichterstattung aus, aktuell wird geprüft, was mit dem Kunstwerk passiert http://diepresse.com/home/kultur/kunst/692831/BanksyHype-in-Berlin-und-London?from=simarchiv

http://www.zeit.de/kultur/kunst/2011-09/banksy-berlin-bethanien

http://www.bz-berlin.de/kultur/banksy-werk-im-bethanien-freigelegt-article1270101.html

http://www.tagesspiegel.de/berlin/stadtleben/street-art-kuenstlerhaus-bethanien-legt-banksy-bild-frei/4598782.html

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,785799,00.html

 

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http://saugkultur.org/kunstwerk-von-blek-le-rat-nach-21-jahren-in-leipzig-kleinparis-wieder-entdeckt/feed/ 0
IBUg – Industriebrachenumgestaltung http://saugkultur.org/ibug-industriebrachenumgestaltung/ http://saugkultur.org/ibug-industriebrachenumgestaltung/#comments Fri, 19 Aug 2011 09:05:44 +0000 http://saugkultur.org/?p=1664 Weiterlesen ]]> Urbane Kultur im ländlichen Raum

Wenn verlassene Fabriken neue Farben auf die alten Mauern bekommen, Ingenieurbüros zu Ateliers werden und Dampfkessel zu Installationen, dann ist IBUg-Zeit in Westsachsen.

IBUg steht dabei für Industriebrachenumgestaltung und ist ein Projekt einer losen Initiative um den Graffitikünstler Tasso. Begonnen hat die IBUg vor sechs Jahren als inoffizielle Veranstaltung. „In Meerane gibt es – wie in vielen ostdeutschen Städten, in denen ehemals eine produzierende Industrie existiert hat – sehr viele brachliegende Industriebetriebe und Fabriken, an denen niemand mehr Interesse hat und welche so einem langsamen Verfall ausgesetzt sind. Auf der ständigen Suche nach Flächen zur Nutzung für legales Graffiti stieß ich bei unseren Verantwortlichen – insbesondere Bürgermeister Prof. Ungerer – auf offene Ohren“, erinnert sich Initiator Tasso. Der Grundstein war gelegt, und seither pilgern jedes Jahr Künstler der Urbanen Kunst und Kultur nach Meerane, in eine Stadt, die geprägt war von der Textilindustrie und deren Fabriken heute verlassen stehen. Kunstförderung, kulturelles Bildungsangebot, internationales Szene-Event – all das ist die IBUg, und dennoch kann man nicht in Worte kleiden, was da alljährlich in Westsachsen passiert: Alte Balken werden zu Pferden, Fenster zu Bilderrahmen, Steckdosen zu Gesichtern, kurz: ungewollte Relikte der Industriegesellschaft zu Kunst für die Kulturgesellschaft. Zone56 , Künstler und Teammitglied der IBUg, glaubt: „…dass es eine Stimmung in den Gemäuern gibt. Da vor vielen Jahren in solchen Gebäuden Hochkonjunktur herrschte, bekommt man das als Künstler mit oder kann es zumindest erahnen, wenn man eine Weile dort am Werk ist. Die Architektur, der Verfall, das Ambiente gibt den Anreiz, etwas zu machen, das diese Einflüsse widerspiegelt. Wenn man das erste Mal die Hallen betritt, denkt man, eigentlich könnte alles so bleiben, wie es ist. Es ist schon ‚Kunst’. Ich hoffe, die eingeladenen Künstler – egal aus welchem Land – werden das spüren und in ihre Kunst mit einfließen lassen.“ Und sie tun es, Jahr für Jahr!

Projekte wie die IBUg sind ohne Gelder aus der Wirtschaft und breite Unterstützung eines gut funktionierenden Netzwerks nicht möglich. Vertrauen ist dabei das höchste Gut. Immerhin laden die Organisatoren internationale Künstler in eine Brache ein, die nicht selten zum Abriss freigegeben ist – Fluch und Segen zugleich. Segen, weil in diesem Niemandsland aus Unkraut und funktionslosen Mauern freie Kunstproduktion möglich ist. Alle Kunstwerke können bleiben, kein Nagel muss entfernt werden, keine Wand muss stehen bleiben. Die Künstler können ihrem kreativen Geist in der Gestaltung von Installationen folgen, die Themen sind frei. Fluch, weil jahrelange Arbeit notwendig ist, um das Vertrauen herzustellen. Immerhin kaufte die Stadt Meerane jahrelang die Brachlandschaften, entwickelt mit den Organisatoren gemeinsam ein temporäres Nutzungskonzept und unterstützt, wo sie kann. Und dennoch ist die Realisierung des Projektes alljährlich eine Hängepartie. Abgelegen vom Zentrum öffentlichen Interesses müssen Förderer und Sponsoren überzeugt werden. Ohne ein über Jahre gewachsenes Netzwerk aus Privatpersonen, regionalen und überregionalen Unternehmen und Kulturträgern, der Stadtverwaltung und dem eingeschworenen Team wäre die IBUg nicht nur aus finanzieller Sicht undenkbar.

Umso schöner ist daher die Entwicklung. Einst ein reiner Szenetreff, wurde das Projekt inzwischen in eine nichtöffentliche Kreativphase mit Künstlern aus dem In- und Ausland sowie eine Präsentationsphase unterteilt. Dieses Konzept hat sich bewährt und wird ständig weiterentwickelt. 2010 kamen mehr als 2.000 Besucher in ein umgestaltetes Palla-Werk . Spontane Konzerte mit den Besuchern, Performances, Führungen und Malaktionen mit den Künstlern fanden statt. Seit 2011 wächst die IBUg zu einem Festival für urbane Kultur. Ein Rahmenprogramm mit Kino, durch die Brache inspirierte Mode, Vorträgen zu Kunst im öffentlichen Raum und Umnutzungskonzepten, einer IBUg-Kneipe, wo Einheimische und Zugereiste an einem Tisch sitzen, und einem Urban Art Markt begleiten die Ausstellung. Ausstellung? Eine Ausstellung wird nicht wirklich geboten, vielmehr ein Gesamtkunstwerk, das nicht fertig ist und – auch während des Festivals – zum Gestalten einlädt.

Auch wenn die IBUg ein Jahresprojekt ist, stellt sie in einer Region, die den demografischen und gesellschaftlichen Wandel seit der Wende radikal erleben musste (vom wirtschaftsstarken Manchester des Ostens zu einer Abwanderungsregion), einen wichtigen Identifikationswert dar. Schließlich sind es immer noch die Brachen, in denen ein Gros der Bevölkerung einen erheblichen Teil seines Arbeitslebens verbracht hat und die von Künstlern nun das letzte, schönste Kleid auf den Leib geschneidert bekommen. Es ist doch ein erhebender Moment, wenn Enkel und Großeltern den Eingang passieren und gemeinsam durch eine Kunst-Brache gehen, die so vielschichtige Geschichten erzählt, sodass das Alter keine Rolle mehr spielt. War es früher die Industrie, die den Ton angab, ist es heute einmal jährlich die Kunst, die eine ganze Stadt in helle Aufregung versetzt. IBUg your life!

Maxi Kretzschmar in SOZIOkultur 2-13
www.ibug-art.de

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Scanning Europe – Junge Freiwillige vermessen Europa http://saugkultur.org/scanning-europe-junge-freiwillige-vermessen-europa/ http://saugkultur.org/scanning-europe-junge-freiwillige-vermessen-europa/#comments Thu, 07 Jul 2011 12:44:03 +0000 http://saugkultur.org/?p=1669 Weiterlesen ]]> Scanning Europe – Junge Freiwillige vermessen Europa

Was heißt Europa für mich? Welche Bedeutung hat Europa für mein Land? Welche Auswirkungen hat ein gemeinsames Europa auf politische, soziale und kulturelle Entwicklungen in meinem Land?
Mit diesen und ähnlichen Fragestellungen beschäftigt sich seit Mitte 2010 „Scanning Europe“ – ein Projekt der Europäischen Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW). 15 Jugendliche aus Italien, Rumänien, Ungarn, Russland und der Ukraine absolvieren ihren einjährigen Freiwilligendienst bei verschiedenen international und europapolitisch aktiven Initiativen und Einrichtungen in Weimar und Ilmenau. Ein gemeinsames Projekt eint sie: Sie scannen Europa unter der Kernfrage: „Was stärkt/gefährdet die Demokratie und demokratische Prozesse regional und europaweit?“
Schritt für Schritt untersuchen die Freiwilligen den Arbeitsbereich ihrer Einsatzstellen in Deutschland und vergleichen diesen mit dem einer ähnlichen Einrichtung aus ihrem Herkunftsland. Alle sechs Wochen treffen sie sich und tauschen ihre Erfahrungen aus – mit dem Ziel, dass sie gewonnene Erkenntnisse in ihre Heimatländer tragen. Dabei beschäftigen sie sich mit den Themen Bildung und Partizipation, Mobilität und Migration, Chancengleichheit und gesellschaftlicher Wandel, Umwelt und Lebensgrundlagen sowie Demokratie und Politik. Ihre Erfahrungen und Ergebnisse präsentieren die Freiwilligen der Öffentlichkeit auf der Internetplattform: www.scanning-europe.eu und nach Ende des Projektes Mitte 2012 in einer Ausstellung.
Während des Aufenthalts in Thüringen finden auch Bildungsausflüge zu geschichtlichen, europapolitischen und kulturellen „Lernorten“ wie dem Europaparlament in Brüssel oder auch eine Sprechstunde mit dem Europaabgeordneten Dr. Dieter Koch in Straßburg statt, um anschließend in der Gruppe intensive und praktische Auseinandersetzungen und Diskussionen führen zu können. Die Freiwillige Irene Schenk bringt es auf den Punkt: „Denn wo außerhalb, zu Hause oder unter Freunden, findet man so viele Gleichgesinnte, die alle dasselbe ausgeführt und dennoch etwas ganz anderes erlebt haben?“
Die Ungarin Livia Pelyhes hat im Juni 2011 ihren Freiwilligendienst in der EJBW beendet. Die studierte Germanistin aus Budapest kam nach Deutschland, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, eine politische Bildungseinrichtung für Jungendliche kennen zu lernen und aus „Interesse an den Problemen unserer Generation“, wie sie in ihrem Motivationsbrief schrieb. Besonders interessieren sie Methoden der Toleranz- und Demokratieentwicklung, da sie Übergriffe gegenüber Roma, die sich seit 2008 in Ungarn häufen, Jugendbildungsmaßnahmen und Möglichkeiten für Freiwilligendienste in Ungarn vermisst. Vom Projekt „Scanning Europe“ hat sie von Freunden erfahren, die bereits in Portugal und Italien als EU-Freiwillige tätig waren. Livia schätzt an dem Weimarer Modell, die regelmäßigen Treffen in der Gruppe mit anderen Freiwilligen, denn hier kann sie sich über die Arbeit in der Einsatzstelle austauschen und neue Freunde kennen lernen, die sie künftig in verschiedene Länder führen werden. In einem interkulturellen Seminar beispielsweise konnte Livia ihre Vorurteile gegenüber Italienern abbauen und lernte Deutschland als sehr unterschiedlich in Bezug auf kulturelle Besonderheiten kennen. Ihre Zukunft in Deutschland hat Livia auf fünf Jahre begrenzt, davon will sie zwei Jahre in Berlin verbringen, um Kulturmanagement an der Humboldt-Universität zu studieren.
Livias Zeit in Thüringen war Lehr- und Wanderjahr, persönliches und berufliches Erfahrungsjahr, Kultur- und Bildungsjahr in einem – ganz so heterogen wie es Europa auch ist. Auf die Frage „Was ist Europa?“ bzw. „Was wird Europa?“ finden sich ebenso viele Antworten wie auf die Frage „Was wird Thüringen?“ und das ist gut so. Livia hat ein kleines Puzzelteil hinzugefügt.

Maxi Kretzschmar im Kulturjouranl Mittelthüringen 4/2011

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Neuer Brief über die ästhetische Erziehung http://saugkultur.org/neuer-brief-uber-die-asthetische-erziehung/ http://saugkultur.org/neuer-brief-uber-die-asthetische-erziehung/#comments Sun, 20 Mar 2011 18:53:13 +0000 http://gluehendelandschaften.wordpress.com/?p=1025 Weiterlesen ]]> Kritische Auseinandersetzung mit dem Forschungs- und Bildungskonzept der Klassik-Stiftung Weimar hinsichtlich der Bildungsarbeit

Die Sattelzeit der Moderne
Die Modernisierung der europäischen Gesellschaft hat die Aufklärung, Sturm und Drang, Klassik und Romantik (Sattelzeit) ausgehend vom französischen und deutschen Kulturraum als Bezugsparadigmen: Die Aufklärung ebnet den Weg zur Säkularisierung, indem sie Argumentationsstrukturen verweltlicht, Glaube durch Erfahrung ersetzt und damit die Grundlage für weltliche Philosophie liefert. Ausgehend von den Philosophen, die auffällig oft Söhne protestantischer Pfarrer sind, ebnet sich die funktionale Differenzierung der Gesellschaft ihren Weg über die absolutistischen Herrscher hin zum Einzelnen, lost das geburtsständische Prinzip ab und verändert damit grundlegend das Menschenbild und damit die sozialen Interaktionsgepflogenheiten und -Möglichkeiten. Das Bürgertum macht seinen ehemals ausschließlich finanziellen Einfluss durch Bildung und Leistung geltend. “Ich denke, also bin ich.” Die neuen bürgerlichen Funktionseliten organisieren sich in Sozietäten, Lesegesellschaften und Geheimbünden wie der Freimaurerloge und bauen damit ein sich zunehmend weit verzweigtes kommunikatives Netz durch mehrere Zugehörigkeiten auf. Die intermediale Vernetzung folgt in logischer Konsequenz. In der Klassik und dem Sturm und Drang werden Philosophen zu Literaten, Literaten zu Theaterdramaturgen, Dramaturgen zu Prinzenerziehern, Prinzenerzieher zu Vätern – kurz: Sie wechseln ihre gesellschaftlichen Rollen bedarfsorientiert. Sie nehmen sich die Freiheit, die Religion konsequent durch politisches Handeln, Kunst und Kultur zu ersetzen, lösen die Polemik von Religion und Philosophie auf und stellen damit der Philosophie mit der Kultur ein weiteres Säkularisat zur Seite, um die Aufklärung konsequent und lustvoll voranzutreiben und die Glaubenslücke, die vormals durch Religion gefüllt war, mit Sinn zu füllen und so über Kultur nationalen Identifikationswert zu stiften. Religiöse idealistische Geschichtsschreibung wird durch kulturelle Sinngeschichtsschreibung Schritt für Schritt abgelöst. Die Romantiker unterstützen diesen Prozess mit dem Rückbezug auf Themen der mittelalterlichen Kultur, indem sie deutsche Volksmythen in Sagen und Liedgut ins Zentrum des Schaffens stellen, gleichzeitig aber die deutsche Sprache und das Bürgertum fokussieren. Die Romantik liefert damit die Grundlagen für unser gegenwärtiges Selbstverständnis als Privatmenschen und öffentlichen, das heißt politischen Menschen sowie dem Verständnis von sozialen und gesellschaftlichen Strukturen. Die romantische Integration von Kunst und Kultur in das alltägliche Leben hat die Modernisierung ins Private und damit in die Mitte der Gesellschaft getragen. Religion als einziger Bezugsrahmen und Konstante wurde innerhalb eines Zeitraums von weniger als 150 Jahren aufgelöst und die Basis für das wertende, empfindende, denkende Individuum gelegt. Seither ist Fortschritt und Scheitern jedes Einzelnen möglich, der frei, absichtsvoll und damit selbstverantwortlich entscheidet und handelt.

Kritik an der Aufklärung:
Die Aufklärung hat ihren Ausgang bei standesübergreifenden Funktionseliten, die die Säkularisierung vorerst ideologisch motiviert vorantrieben und ebenso gezielt wie die christliche Religion eine Trennung von Geist und Materie, eine Trennung von Verstand und Emotionen forcierte, dabei aber dem Verstand mehr Bedeutung beimaß.
Damit negiert die Aufklärung Persönlichkeits- und Geschlechterdifferenzen und liefert keine Antworten auf Genderfragen und Fragen die menschliche Psyche betreffend. Die Akteure der Klassik und Romantik haben Kunst und Kultur als Korrektiv dieses Missstandes weiterentwickelt, das auch heute in seiner freien Ausübung noch zu wenig Anwendung findet.
Den Menschen und seine sozialen Aktivitäten ausschließlich vernünftig, das heißt schlussendlich systemtheoretisch, zu betrachten, ist die Ursache für unsere gegenwärtigen gesamtgesellschaftlichen Probleme, die konsequent individuelle Bedürfnisse missachtet und dem Individuum schlussendlich eine “Planstelle” im angenommenen System der Gesellschaft zuweist, statt von individuellen Bedürfnissen ausgehend Gesellschaft partizipativ zu gestalten. Die Errungenschaften der Aufklärung ersetzen das religöse Korsett durch das vernünftige Korsett – der Mensch ist mehr! In einer Zeit, in der sich heraus gebildete Ich-Identitäten Fähigkeiten der Selbstreflexion auf ihrem Bildungsweg aneignen, romantische Familienmodelle sich selbst überholen, Grenzen zwischen Wissen und gesellschaftlichen Systeme maximal durchlässig erscheinen und die Möglichkeiten der freien Kulturproduktionen und der Kunstrezeption durch das überstarke wirtschaftliche System und den damit verbundenen Konsequenzen für Kunst und Kultur sukzessive eingeschränkt werden, erscheint es unverantwortlich die individuelle Psyche und Gefühlswelt ins System der Intimität abzuschieben und somit aus dem gesamtgesellschaftlich Bezugssystem auszuklammern. Die reine Vernunft darf niemals siegen! Denn ihr ist Empathie unbekannt. Empathie hingegen ist die Basis für gelingende Kommunikation, reflektierte das heißt selbstständige Entscheidungen und insbesondere der Krisen- und Konfliktbewältigung sowohl innerhalb des Systems “Mensch” als auch innerhalb des gesellschaftlichen Systems. Daher kann eine Pädogogik, die ausgehend von der Aufklärung kulturelle Bildung ausschließlich zu Erziehungszwecken hin zur Vernunft instrumentalisiert und so ausschließlich kognitives Wissen ins Zentrum des Interesses stellt, nicht zur Bewältigung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen angesehen werden. Dass haben auch Goethe und Schiller verstanden und insbesondere Schiller verlieh in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung konsequent der allgemeinen Persönlichkeitsbildung mit ästhetischen Mitteln Nachdruck.

Kritik am Bildungs- und Forschungskonzept:
Auch wenn die Klassik eine kulturelle Identität der deutschen Nation hervor gebracht hat, kann dies im Zeitalter globaler Handels- und Kommunikationsnetzwerke keine Orientierung mehr haben. Nationen sind ausgehend von Frankreich eine Erfindung des 18. Jahrhunderts -seinerzeits angemessene Strategie der Problembewältigung erscheinen sie heute wie auch andere Universallösungen obsolet. In einer Zeit, in der ausgehend von der künstlerischen Avantgarde des Dada und des Kubismus wie nie zuvor das Prinzip Collage in alle sich immer weiter verzweigende gesellschaftliche Subsysteme eindringt und die funktionaldifferenzierte Gesellschaft zur Realität geworden ist, definiert sich kein aufgeklärtes und empathisches Individuum über seine Nation, sondern vielmehr über sich selbst, seinen freien Willen, Individualität, Integrität und seine Peergroup. Die einende Kraft von Nationen, die später durch das Wirtschaftssystem ersetzt wurde, ist verpufft. Nicht umsonst legt die EU zahlreiche Förderprogramme auf, die die kulturelle Identität, die reflektierte Eigentätigkeit und interkulturelle Kommunikation fördern sollen. Identitätsstiftung muss beim Individuum und seiner Integrität ansetzen und erst in einem zweiten Schritt die Integration in Systemen beleuchtet werden. In der Pädagogik heißt das Zielgruppenorientierung, Kritiker schreiben Anarchie darüber. Wie in der modernen funktioal-differenzierten Gesellschaft eine Universal-Ethik ausgeschlossen ist, kann auch kein anderes System als universelles System anerkannt werden. Wie die Dichtung im 18. Jahrhundert die Störung vermeintlich sicheren Wissens zum Ziel hatte, kann ein kultureller Bildunganspruch der Klassik-Stiftung kein anderes Ziel verfolgen, ohne sich selbst und die Errungenschaften des Kosmos Weimar in Frage zu stellen.
Die im Forschungs- und Bildungskonzept 2010 enthaltenen Anmerkungen zu den Zielgruppen und daraus abgeleiteten Konsequenzen müssen in Teilen als Farce verstanden werden, wenn beispielsweise Willen bekundet wird, “die oftmals heterogenen lebensweltlichen Erfahrungen offensiv in den Blick” zu nehmen und “Vorbehalte ebenso wie Verständnisbarrieren” zu überwinden, im selben Atemzug allerdings ernsthaft die vorgeschlagene Frage “Wie viel Bürgertum steckt im Schloss?” ausschließlich hinsichtlich der Zielgruppe kritisiert wird. Die Zielgruppe sind hier Schüler und Schülerinnen im Alter von 11 und 12 Jahren.
Dass Vermittlung kognitiven Wissens und Handlungswissens als Spagat verstanden und mit nötigem Respekt behandelt wird, leuchtet ein. Die Kulturelle Bildung, die Soziokultur und die Sozialpädagogik haben hier funktionale Methoden entwickelt, die reflektiert und bei konsequenter Beachtung der zielgruppenspezifischen Bedürfnisse zum Einsatz kommen müssen, um nicht in ihrer Wirksamkeit an Kraft zu verlieren. Dann könnte der Satz “In diesem Kontext können niedrigschwellige Angebote erste Zugänge eröffnen und damit den Grundstein für eine vertiefende Auseinandersetzung mit den in Weimar präsenten kulturellen Überlieferungszusammenhängen legen.” auch eingelöst werden.
Mit Blick auf Schüler und Lehrer wird im Forschungs- und Bildungskonzept im deutschen Bildungswesen “tiefgreifende Transformationsprozesse” und pädagogisch-didaktische Reformen benannt. “So wird etwa dem handlungsorientierten und fächerübergreifenden Lernen und außerschulischen Projekten ein immer höherer Stellenwert zugemessen. Zunehmend etabliert sich eine Lernkultur, die den kulturellen und sozioökonomischen Veränderungen im Gefolge der Globalisierung Rechnung trägt.” Schulklassen soll eine projektorientierte, selbsttätige und kreative Annäherung an die Weimarer Klassik und das Bauhaus eröffnet werden, mit dem Ziel des nachhaltigen Wissenserwerb und Erwerb von Schlüsselkompetenzen. Dabei sollen insbesondere Schüler und Schülerinnen aus Förderzentren, Haupt- und Regelschulen vor allem mit Ausdrucks- und Kommunikationsformen der Jugendkultur angesprochen werden, obwohl auch 2011 Jugendkulturen “standesübergreifend” sind. Die Klassik Stiftung wird in den nächsten Jahren niedrigschwellige Angebote entwickeln, dafür braucht es einschlägig erfahrene Pädagogen.
Diesen Absatz unterschreibe ich ohne Widerrede, sobald die Wege geebnet werden, diesen Anspruch einzulösen. Heute sind das reine Willensbekundungen – nicht hinreichend eingelöst. Aber um den Bogen zum Bauhaus aus Weimar zu spannen: Form follows function.
2011 gilt “Form follows content”.

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