Ein Traum von Theater

Gisela Höhne ist eine kleine Frau. Sie grüßt mit festem Händedruck und strahlt mit ihrem Perlmutohrring um die Wette. Wir treffen uns im Café des Theaters RambaZamba. Malereien, Grafiken und Keramiken, die in den Werkstätten des Trägervereins Sonnenuhr e. V. entstanden sind, schmücken die Wände. Das Ensemble trudelt ein. Es wird gegessen und das Neueste ausgetauscht, bevor das tägliche Training und die Proben für die Abendaufführung beginnen.
Hier arbeitet Gisela Höhne. Gemeinsam mit ihrem Ensemble und ihrem Lebensgefährten, Klaus Erforth, hat sie in den letzten 20 Jahren „Deutschlands wichtigstes integratives Theater“ aufgebaut – das Besondere: Geistig Behinderte machen das Gros der Gruppe aus und sind dabei auf der Bühne so authentisch, dass sie Schauspieler ohne Handicap an die Wand spielen. Das fasziniert Gisela Höhne auch heute und sie weiß, dass diese schauspielerischen Fähigkeiten einzigartig sind. Wenn sie mit ihrem Ensemble probt, dann setzt sie auf die emotionale Intelligenz ihrer Bühnenkünstler, denn bei der Arbeit mit Behinderten werden Unklarheiten im Stück und den Regieanweisungen sofort entlarvt. Um sich einem Stoff zu nähern, lässt die Regisseurin zu Beginn freie Assoziationen – „Wildwuchs“ wie sie sagt – zu, um sich einen Überblick zu verschaffen und das Stück „aus den Schauspielern heraus“ zu entwickeln. Dann holt sie gärtnergleich das Beste aus den Spielern und die Inszenierung wächst. Ihre Erfahrungen als Schauspielerin helfen ihr dabei sehr: „Man kriecht besser rein.“ – sowohl in die Rollen als auch die Darsteller. Überhaupt ist Höhne eine absolute Praktikerin: Neben dem Leben auf der Bühne, hat sie die Arbeit hinter der Kamera und als Regisseurin beim Film kennen gelernt. Daneben hat sie studiert: Nach Verweigerung ihres Wunschstudienplatzes Psychologie wegen ideologischer Differenzen zur „Psychologie des Arbeiter- und Bauernstaates“ studierte sie Filmregie in Babelsberg, Schauspiel an der heutigen Ernst-Busch-Schauspielschule und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. Der praktischen Arbeit lässt sie dennoch den Vortritt. Und das ist gut so! Denn die Theaterarbeit fasst einerseits Höhnes Erfahrungen zusammen und ist so Ausdruck einer unerwarteten Kontinuität ihres Lebens, andererseits auch Arbeit, Broterwerb. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder, Moritz hat das Down-Syndrom, kehrte sie dem Theater vorerst den Rücken zu. Nach kurzer Zeit verhandelte sie ihre Erwartungen an Leben und Bühne neu und befand, dass sie die extreme Herausforderung annehmen und Menschen mit Behinderung ermöglichen will, mit ihrer Kunst gesehen zu werden. Dem inneren Kampf mit der Erfüllbarkeit der eigenen und fremden Erwartungen und Wertmaßstäben bot die Reaktion von Ensemble und Publikum schnell Einhalt – die Schauspieler berühren darüber, wie sie Geschichten erzählen. Heute kann das Theater auf 21 Produktionen, die in Berlin und über 100 Gastspielen in ganz Europa zu sehen sind, zahlreichen Workshops, Zirkusshows, Kunst- und Theaterfestivals zurück blicken.
Für die Schauspieler stellt das Spiel auf der Bühne laut Höhne einen Durchbruch dar – sowohl gesellschaftlich als auch für die Akteuere selbst. Von als defizitär wahrgenommenen Wesen entwickeln sie sich mit Betreten des Bühnenraums zu Personen des öffentlichen Lebens. Dabei ist Anschauen ausdrücklich erwünscht, denn die Schauspieler treten nicht umsonst vom Dunkel ins Licht. „Im Theater siehst du den Menschen, einen Besonderen, Gezeichneten.“ 2007 richtete der Verein geschützte Arbeitsplätze für die besonderen Theater- und Kulturschaffenden ein, seither ist die Zahl auf 30 angestiegen.
Die Schauspieler sind stolz, einen priviligierten Job zu haben, dabei wollen sie einfach nur Schauspieler sein, keine Stars. Gisela Höhne und ihre Ensemble sind sich einig: „Alle Rollen sind wichtig.“ – sowohl auf der Bühne des Theater als auch im Alltag. Das Publikum wiederum erlebt die Inszenierungen als Kunst statt Therapie. Die eigenen Vorurteile kollidieren mit dem Wahrgenommenen. Das Weltbild wird erschüttert und eine klassische Katharsis setzt beim Publikum ein. Höhne glaubt: „Wenn die Leute, besonders Kinder und Jugendliche unsere Stücke sehen, gehen sie später anders mit der eigenen Zukunft und ihren Kindern um.“ Damit begibt sie sich in die Tradition von Bertolt Brecht und setzt ganz auf die gesellschaftsbildende Kraft von Theater.
Wenn Höhne fragt „Was bedeutet Theater?“ dann meint sie „Was bedeutet Leben?”

Porträtiert wurde: Gisela Höhne, geb. 1949 in Thüringen
Schauspielerin und Mitbegründerin des Vereins Sonnenuhr e. V., für den sie seit 1991 als Regisseurin und künstlerische Leiterin tätig ist.
2009 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz und zahlreiche weitere Auszeichnungen für ihre integrative Theaterarbeit.
Das Theater RambaZamba feiert am 1. September 2010 mit dem Friedens-Fest 20jähriges Jubläum. Wir gratulieren!

Maxi Kretzschmar in soziokultur 2/2010

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