5 für Leipzig und der Status quo

Dass die Freie Szene aschenputtelgleich wie ein Stiefkind in der kommunalen Kulturpolitik behandelt wird, ist keine neue Erkenntnis, aber auch kein Grund den Status quo aufrecht zu erhalten. So geschehen in Leipzig.

„5 für Leipzig“ ist eine Kampagne der Leipziger Szene, deren Ziel es ist mittelfristig 5 % des städtischen Kulturhaushalts für freie Kulturarbeit zu sichern. Die Argumente liegen auf der Hand: Innerhalb des Kulturangebots stellt die Freie oder Basiskultur einen außerordentlich wichtigen Bereich dar. Ihre Formen der gesellschaftlich-künstlerischen Auseinandersetzung sowie ihre Produktionen schärfen durch Themenwahl und Ästhetik den Blick für soziale Spannungsfelder. Dem Offenen Brief an den Kulturausschuss ist zu entnehmen: „Die Angebote der Freien Szene Leipzigs werden von der Hälfte aller Kulturbesucher und somit von rund einer Million Menschen jährlich genutzt. Mit tausenden Veranstaltungen, Kursen und Workshops leistet die Freie Szene einen unverzichtbaren Beitrag für die Lebensqualität in der Stadt, was sich auch in dem aktuellen Entwurf des Kulturentwicklungsplanes in eindrucksvoller Weise wieder spiegelt.“

Verfasst hat den Brief die Initiative Leipzig+Kultur. Sie ist auch Träger der Kampagne „5 für Leipzig“. Bereits 2002 sorgte sie auf Grund jahrelanger Unterversorgung der Szene und Kürzungsvorhaben der Stadt mit der Protestaktion „Weisser Januar“ bundesweit für Aufsehen. Danach schlief die Initiative nach eigenen Angaben „im Alltagsgeschäft ein“. Die Förderung für Freie Kulturarbeit sank weiter. Mitte 2007 brachte sich die Initiative mit „5 für Leipzig“ und der künstlerischen Protestaktion „Kulturfriedhof“ wieder ins politische Gespräch und erreichte Anfang 2008 den ersten Etappensieg: 2,4 % des kommunalen Kulturhaushalts im Jahr 2008 für die hiesige Freie Szene.

Nach Jahren der stetigen Unterversorgung sind die Handlungsspielräume auf ein Minimum eingegrenzt und langjährige Kulturprojekte und Einrichtungen sind existentiell bedroht (die Fördersumme für Freie Kultur sank seit 2002 um ein Viertel auf zu letzt 1,8 % im Jahr 2007 während der Gesamthaushalt Kultur um 8 % anstieg). Der Literarische Herbst, das kulturelle Stadtteilzentrum „Die Scheune“ im Leipziger Osten und das Festival LeipJazzig sind vorerst die letzten Opfer des kulturellen Kahlschlags. Die Freie Szene ist mit „5 für Leipzig“ in die Offensive gegangen. Grundlage ihrer Argumentation ist neben dem Kulturhaushaltsplan und der Besucherstatistik, das Kulturentwicklungskonzept und entsprechende Leistungsbewertungen von Leipziger Kultureinrichtungen. Der Beirat der Kulturentwicklungsplanung stufte die Freie Szene gemessen an den kulturpolitischen Zielen der Stadt auf Rang drei ein und mass ihr damit einen wichtigen Platz in der kommunalen Kulturlandschaft bei. Zahlen, mit denen die Stadt arbeitet, kann die Stadt nicht leugnen. Die Initiative Leipzig+Kultur stellte daher einen „Forderungskatalog für freie Kulturarbeit“ auf:

1.     Den Abschluss von Leistungsverträgen mit den Kultur- und Stadtteilzentren über mindestens 5 Jahre.

2.     Die Bereitstellung von ausreichend investiven Mitteln zur Verbesserung deren baulichen Zustandes und der technischen Ausstattung – gegebenenfalls Erstellung eines mittelfristigen Investitionsplanes für diese Einrichtungen.

3.     Mindestens 5 Prozent des kommunalen Kulturetats zur Förderung der freien Kulturarbeit – dadurch deutliche Aufstockung freier Projektförderung.

4.     Ermöglichen von kalenderjahrübergreifenden Projekten durch flexible Zuwendungszeiträume.

5.     Vorhalten eines “Feuerwehrtopf” für die unterjährliche Vergabe von Projektfördermitteln. (im Übrigen ein Thüringer Model zur Unterstützung soziokultureller Zentren und Kulturinitiativen)

6.     Die Vereinheitlichung der formalen Regelungen innerhalb verschiedener Förderrichtlinien der Stadt Leipzig sowie deren Angleichung an die Vorgaben der Steuergesetzgebung.

7.     Die Schaffung einer zentralen Abrechnungsstelle für alle kommunalen Fördertöpfe – beginnend zumindest für das Kulturamt und das Jugendamt.

Der Forderungskatalog und die Kampagne „5 für Leipzig“ haben sowohl die lokale Presse als auch den Stadtrat erfasst. Kultur wurde DAS Tagesthema und erreichte weite Teile der Bevölkerung. Sogar eine öffentliche Podiumsdiskussion aller Fraktionsvertreter und der Freien Kulturarbeiter im Vorfeld des Haushaltsbeschlusses fand statt. Alle Politiker garantierten ein Votum für die Erhöhung der Fördersumme für die Freie Szene. Gerhard Pötzsch (SPD): „Wir haben die Freie Szene lange vernachlässigt und unseren Kurs geändert. Kultur ist mehr als ein Kostenfaktor.“ (In: LVZ vom 16. April 2008). Vor wenigen Jahren wäre ein öffentliches Gespräch mit Kommunalpolitikern zum Thema Kultur noch undenkbar gewesen,

geschweige denn offizielle Bekenntnisse pro Freie Szene,

geschweige denn eine Erhöhung der Förderung im Haushaltsplan…

Der Status quo verändert sich. Die Leipziger Band „Fred vom Jupiter“ hätte einen Song dazu: „Das System bleibt stehen, wenn Du stehen bleibst.“

 

Mehr Informationen unter www.soziokultur-leipzig.de/fuenf-fuer-leipzig/die-fakten

Der Leipziger Kulturentwicklungsplan unter www.leipzig.de/de/buerger/kultur/kep

Die Leistungsbewertungen der Leipziger Kultureinrichtungen nach dem Kulturentwicklungsplan unter www.soziokultur-leipzig.de/fileadmin/soziokultur/Dokumente/leistungsbewertung.pdf

Maxi Kretzschmar in hEFt – für literatur, stadt und alltag, Oktober 2008, Grundbedürfnisse

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